Dr. Gustav Voit: Geschichte des Klosters Engelthal
Die Christianisierung unseres Raumes schritt mit der bayerischen Besiedlung von Süden nach Norden vor. Als älteste Pfarrei darf Rasch angesprochen werden. Von dieser Mutterkirche wurde vielleicht um 700 die Kirche in Offenhausen gegründet. Sie entwickelte sich bald selbst zur Urpfarrei eines zunächst dünn besiedelten Gebietes. Mit dem Anwachsen der Bevölkerung erfolgte von Offenhausen aus die weitere Erschließung in drei Richtungen. So entstanden drei neue Mutterpfarreien: Neunkirchen a. Sand, Altensittenbach und Happurg.
Neben Offenhausen, der Siedlung eines Ovo, entstanden in der Frühzeit bayerischer Landnahme noch drei weitere Orte: Ein Frigilo gründete das heutige Freiling bei Henfenfeld, ein Buwerlin war der Gründer von Peuerling und ein Bozelin von Pötzling. Diese Personen erscheinen in keinen Urkunden; sie sind nur aus den heutigen Ortsnamen zu erschließen. Die jeweilige Endung „-ing“ deutet auf bayerische Kolonisten.
Zur Zeit der salischen Kaiser – nach 1024 – erfolgte von Westen her ein großer Siedlerstrom, der die Bevölkerungszahl verdoppelte. Das ließ aber auch den Ruf nach besserer seelsorgerischer Tätigkeit der Geistlichkeit laut werden. So wurde wohl in der Mitte des 11. Jahrhunderts die alte Kirche von Offenhausen neu und größer gebaut und fast gleichzeitig eine Kirche in Swinach – dem heutigen Engelthal – gegründet. Beide Neubauten weihte zwischen 1057 und 1060 der Eichstätter Bischof Gundekar II. Von Offenhausen reiste der Bischof weiter nach Happurg, wo er ebenfalls einen Kirchenneubau weihte.
Da jedoch die Bevölkerung weiterhin rasch anwuchs, musste die Kirche in Offenhausen nach wenigen Jahren erweitert werden. Diesen Neubau weihte Bischof Gundekar II. auf einer Reise zwischen 1071 und 1075. Dabei verlieh er auch der kurz zuvor erbauten Kirche in Entenberg die Weihe. Das Tal, das der Offenhausener Bach – heute Hammerbach – durchfließt, das bei Henfenfeld ins untere Pegnitztal mündet, war längst christianisiert, bevor das Kloster Engelthal entstand.
Die verstärkte Siedlertätigkeit war die Folge der im zweiten Viertel des 11. Jahrhunderts einsetzenden Reichslandpolitik der Kaiser. Sie sicherten das Krongut und bauten es weiter aus. Mittelpunkt war die Reichsveste zu Nürnberg, die 1050 erstmals urkundlich erscheint. Den Kaisern diente in der Verwaltung des Reichsguts und dessen Schutzes eine stattliche Reihe von Reichsministerialen, die in der Folge als zuverlässige Stützen der Reichsgewalt ein hohes Ansehen gewannen. Mit an der Spitze dieser kaiserlichen Dienstmannen stand das reichbegüterte Geschlecht der Königsteiner. Sein Werdegang spiegelt exemplarisch die Geschichte des aufstrebenden Reichsministerialenstandes.
Es erscheint 1043 mit dem Dienstmann Pardo im Högenbachtal. Pardo, d.h. Bartholomäus, wurde der Familienheilige. Ein Zweig trat bald in den Dienst der Grafen von Sulzbach, eines der reichsten Geschlechter Deutschlands. Töchter aus dem Grafenhause heirateten Könige und Kaiser. Der Ministeriale Gelphrad erbaute um 1130 die Namengebende Burg Königstein und die Wappengebende Burg Rosenberg unmittelbar östlich von Sulzbach. In der Grafschaft Sulzbach erwarben die Königsteiner ausgedehnten Lehen- und Eigenbesitz, der bis über die Naab reichte.
Nach dem Aussterben der Grafen von Sulzbach 1188 traten die Königsteiner wieder in den Dienst des Reiches. Nun gewannen sie Vogtrechte über Bamberger und Kloster Bergener Besitz im Raum um Hersbruck. Mit Bauleuten aus der Grafschaft Sulzbach schufen sie neue Siedlungen und vergrößerten bereits bestehende. Die Mundartgrenze westlich des Hammerbachtals zeigt noch heute an, wie weit die Macht der Königsteiner reichte. Auf der Bergspitze zwischen Förrenbach- und Kainsbachtal – da, wo der Königsteiner Vogt- und Eigenbesitz dicht gedrängt war – erbaute Ulrich II. von Köngstein vor 1238 die Burg Reicheneck. Der arrogante Name „Reiches Eck“ zeigt das Selbstbewusstsein, aber auch das Ansehen der Königsteiner.
Das höfische Leben erreichte um 1200 einen Höhepunkt. Auf Fürsten-, Grafen- und Ritterburgen, aber auch in den Städten kehrte – bedingt durch die Kreuzzüge – orientalischer Luxus ein. Der romanische Baustil brachte großartige Baudenkmäler hervor, wie sie sich noch heute in Gelnhausen und Eger, aber auch in der Kaiserkapelle zu Nürnberg zeigen. Die mittelhochdeutsche Sprache entwickelte sich zur höchsten Blüte. Fahrende Sänger brachten höfische Dichtung und Volksepen von Burg zu Burg. Der Minnesang prägte das Bild des edlen Fräuleins. Handelsverbindungen zu Venedig und Genua brachten Reichtum nach Deutschland. Der reiche Kaufmann in den Städten wurde bald Patrizier. Man liebte bequeme Lebensformen.
Doch jeder Luxus erzeugt „Aussteiger“, Menschen, denen der Aufstieg versagt blieb, und die deshalb den Reichtum verachteten. Die Bettelorden entstanden. Die Armutsbewegung erfasste in den Städten vor allem Frauen, die keine Aufnahme in Klöster finden konnten. Sie bildeten wilde Konvente außerhalb der kirchlichen Aufsicht; man nannte sie Beginen. Es gab zu wenig Frauenklöster. Als Nürnberg 1239 nach der Bannung Kaiser Friedrichs II. mit dem Interdikt belegt wurde, das jede kirchliche Handlung verbot, flüchteten viele Beginengruppen aufs Land.
Ulrich II. von Königstein nahm 1240 eine dieser Beginengruppen unter der Führung von Adelheid Rotterin auf und überließ ihnen einen Meierhof in Engelschalksdorf. Er war somit der erste Reichsministeriale – vor Sulzbürg und Gründlach – der die Anfänge zu einem Kloster legte. Die Motive waren stets die gleichen:1. Ewige Gebete, Seelenmessen und Vigilien für das Seelenheil der Stifter, ihrer Vorfahren und Nachkommen. 2. Eine würdige Grablege der Stifterfamilie.3. Unterbringung von Töchtern, für die man keinen passenden Ehemann finden konnte.4. Eine Kanzlei mit funktionierendem Schriftverkehr und Hausarchiv. Urkundliche Belege waren inzwischen unerlässlich.
Eine Kontrolle über das Kloster und dessen Besitz blieb dem Stiftergeschlecht durch die Vogtei erhalten.
Von einem Klosterleben war in Engelschalksdorf noch keine Rede. So gab es keine Klausur. Die Beginen arbeiteten auf dem Feld und erbauten sich eine Kapelle, die dem Hl. Lorenz geweiht war. Wer die Weihe vornahm, ist nicht bekannt. Zur geistlichen Betreuung kamen auch keine Priester. man darf daher diese Gemeinschaft nur als Vorstufe für ein Kloster ansehen. Schließlich war der Konvent von Ulrich II. von Königstein auch nicht so groß geplant, wie sich das spätere Engelthal entwickelte.
Vieles ist anders verlaufen als vorgesehen. Das lehrt die Geschichte. So auch hier. Den reichen Königsteiner traf einer schwerer Schlag: Sein Enkel Ulrich, auf den er alle seine Hoffnungen gesetzt hatte, stürzte in der Nähe von Engelschalksdorf vom Pferd und starb kurz danach, obwohl ihn die Frauen auf ihrem Hof pflegten. Die Trauer des alten Ritters beschreibt die erste Chronistin Engelthals – Christina Ebner – später mit schlichten Worten:
Da geschah im (= ihm) groezz lait an, wanne er het nicht erben danne ein tochter.
Das Geschlecht der Königsteiner war zum Aussterben im Mannesstamm verurteilt. Ulrich II. sah in dem Tode seines Enkels bei den Beginen offenbar einen Fingerzeig Gottes. So schenkte der 1243 den Frauen das gesamte Dorf Swinach zur Errichtung von Klosterbauten.
Da die Beginen nun Grundbesitz aufweisen konnten, stand der Aufnahme in einen Orden nichts mehr im Wege. Zisterzienser und Dominikaner bemühten sich um diesen Frauenkonvent. Den Ausschlag gab jedoch die Meinung Ulrichs II. von Königstein, der sich für letztere entschied. 1244 bestätigte Bischof Friedrich von Eichstätt den Nonnen die Regeln des Dominikanerordens. Der Name Swinach, der nicht recht zu einem Frauenkloster passte, war bereits 1243 in „Engelthal“ umgewandelt worden. Das Bestimmungswort „Engel-„ war von dem Ortsnamen Engelschalksdorf übernommen worden. Das Grundwort „-thal“ dagegen war häufig bei Dominikanerklöstern üblich: Katharinenthal, Seligenthal, Wonnenthal … Es beweist aber auch, dass der Königsteiner bei seiner Stiftung im Jahre 1243 sich bereist für den Dominikanerorden entschieden hatte.
Die Urkunden liegen heute im Hauptstaatsarchiv in München. Von den vier vorhandenen Exemplaren sind drei mit Sicherheit, das letzte wahrscheinlich gefälscht. Sie wurden erst später – wohl 1248 – in Lyon gefertigt. Der Schreiber kannte die Zeugen nicht, die Datumsangabe ist falsch – ja sie ist so missverständlich, dass man bereits im 14. Jahrhundert die Gründung des Klosters ins Jahr 1245 verlegte. Dieses falsche Datum geisterte dann bis ins 19. Jahrhundert – manchmal sogar noch heute – durch die Literatur. Auch die Ortsangabe Nürnberg ist sicher frei erfunden, denn die Beginen kehrten 1240 bestimmt nicht in die gebannte Stadt zurück, die sie ein Jahr zuvor fluchtartig verlassen hatten. Zwei der vier Urkunden tragen zudem noch den anrüchigen Vermerk einer Vogteiverleihung. Diesen Passus – cum iure advocatie ließ sich Ulrich von Königstein, der ziemlich autoritär bisher verfahren war, nicht anbringen. Die Frage der Vogtei – der Schutzherrschaft – wurde erst ein Vierteljahrhundert später laut.
Urkundenfälschungen gab es immer. doch möge hier zur Ehrenrettung der Engelthaler Nonnen gesagt werden, dass sie ursprünglich gar keine „frisierten“ Urkunden wollten. 1248 reiste die Priorin Diemut von Gelnhausen zu Papst Innozens IV. nach Lyon und erwirkte von ihm die volle Inkorporation in den Dominikanerorden. Dabei fand sie Unterstützung bei einem einflussreichen Dominikaner – wahrscheinlich dem Kardinal Hugo de Saint Cher –
der braht mit dem Pabst ihr begirde zu und mer dann sie selber dar zu konnde, und bestetigt ir der pabest ir privilegia und ir brif.
Diese Zeilen, die Christina Ebner zu Beginn des 14. Jahrhunderts schrieb, sprechen deutlich über die Vorgänge 1248 in Lyon. Der Papst befreite ausdrücklich das Kloster vom Vogtzwang. Wohl aus Pietät belastete man den alten Königsteiner nicht mit der Vogteifrage.
Ulrichs II. Tochter Elisabeth hatte vor 1243 den unterfränkischen Walter Schenk von Klingenburg geheiratet. Dieser bestätigte die Schenkungen seines Schwiegervaters. Und so legte man ihm schließlich auch die mit der „Vogteiverleihung versehenen“ Urkunden auf den Tisch. Anfänglich muss er sich geweigert haben. Denn erst 1267 – kurz vor seinem Tode – verzichtete er auf alle Vogtrechte.
Walter Schenk von Klingenburg hing der kaiserlichen Partei (= Ghibellinen) an. Er stand auf der Seite Herzog Ludwigs II. von Baiern. Seine Gegenspieler waren der Nürnberger Reichsbutigler Heinrich von Stein und der Reichsministeriale Gottfried von Sulzbürg, der das Zisterzienserinnenkloster Seligenporten gestiftet hatte. Walters Tochter Elsbet Schenkin von Klingenburg war um 1249 mit Ulrich, dem jungen Sohn Gottfrieds von Sulzbürg verlobt. Doch wurde das Verlöbnis 1254 aus politischen Gründen wieder gelöst. Elsbet wurde nun ins Kloster Engelthal gegeben. Von 1310 bis 1313 war sie Priorin. Dennoch konnte die hohe Politik eine Ehe nicht verhindern. Walters Tochter Kunigunde Schenkin heiratete vor 1260 Hermann, den Sohn des Reichsbutiglers Heinrich von Stein, der als Haupt der papsttreuen Partei (= Guelfen) galt. Das Interregnum schuf undurchsichtige Verhältnisse. Die Söhne Walter Schenks von Klingenburg führten zunächst den väterlichen Namen weiter, seit 1278 nannten sie sich Schenk von Reicheneck. Die Burg Reicheneck, die ihr Großvater in den 30er Jahren des 13. Jahrhunderts erbaut hatte, wurde von ihnen zum Sitz erkoren. Königstein dagegen hatte der Klingenburger seinem Schwiegersohn Hermann von Stein übergeben. Unmittelbar neben Königstein erbaute dieser die Burg Breitenstein, nach der sich nun seine Nachkommen nannten. Die romanische Kapelle von Breitenstein steht noch heute als letzter Rest der Burg. Dagegen wurde die Bartholomäuskapelle von Burg Reicheneck 1398 mit der Burg zerstört.